Montag, 16. Dezember 2013

AGUA BLANCA: Wie ich 4 Tage bei einer panamenischen Familie auf dem Land lebte

Die Felder Panamas

Wie im vorherigen Post bereits erwähnt, habe ich das Wochenende der vergangenen Woche, das durch den "Día de la Madre" (Muttertag) am Sonntag und den dadurch freien Montag verlängert wurde, in Santa Catalina verbracht. Genau genommen in einem kleinen Dorf namens "Agua Blanca".





Eine Freundin namens Karina, die ich an der Universität kennen gelernt habe, hatte mich dazu eingeladen, auf ein Wochenende mit in ihr Heimatdorf zu kommen. Sie studiert derzeit noch Englisch an der UDELAS ("Universidad de las Américas") in Santiago, ist damit aber schon fast fertig - es fehlen lediglich die Ergebisse der Abschlussprüfung. Jedes Wochenende fährt sie zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Oscar (genannt "Tito"), der in Santiago die Secundaria (≈Gymnasium) besucht, zu den Eltern aufs Land.

Nach der Arbeit treffen wir uns am Bus-Terminal von Santiago und nehmen einen von Hunderten Kleinbussen die hier abfahren. Der Weg führt zunächst nach Soná (roter Punkt auf der Karte unten), einer kleinen Stadt im Westen der Provinz am Fluss "Río San Pablo", der in den Golf von Montijo mündet.

Nach etwa 1,5h kommt der Bus dort an, die Fahrt kostet $2,50. Während wir auf den Anschlussbuss nach Santa Catalina warten, unterhalten wir uns mit einem Busfahrer, der erstaunlich gut Englisch kann, da er im touristisch-beliebten Surfer-Paradies Santa Catalina (grüner Punkt auf der Karte) arbeitete. In der Tat zieht es viele "Gringos" (US-Amerikaner) an den Strand dort.


Soná - Agua Blanca - Santa Catalina in groß ansehen (auch für Smartphones über den Link)

Wir fahren allerdings nicht bis an den Strand, sondern halten kurz vor Fahrtende irgendwo dort, wo ein Schotterweg von der Teer-Straße wegführt. Auch dieser Bus kostet nicht mehr als $3. Die Darstellung auf der Karte oben entspricht nicht ganz der Realität, Google Maps fehlen einige Straßen. Man kann fast jeden Punkt in Panama mit dem Bus erreichen. Agua Blanca jedoch nicht, da man von der Bushaltestelle an der Hauptstraße (blaues Stecknadelsymbol) aus selbst den Weg dorthin finden muss.

Wir setzten uns ersteinmal in eine Cantina - eine Art Kneipe - die hier genau auf der Ecke ihre Kundschaft empfängt. Nach einem Bier vor Ort und Musik von Maná machen wir uns auf den Weg ins Dorf. Ich erwerbe vorausschauend 3 Dosen Panama-Bier. Zum Glück ergibt es sich, dass uns ein Nachbar auf seinem Pickup mitnehmen kann. Das ist gerade mit schwerenm Koffer doch eine Erleichterung, zumal es natürlich bereits dunkel ist. Auch im Auto kommt einem der Weg relativ lang vor:


Karte in groß ansehen
(auch für Smartphones über den Link)


Die ca. 2,5 km können mit dem Auto, gerade Nachts, nur relativ langsam durchfahren werden. Zumal auf dem Weg zwei kleinere Flüsse an Furten überquert werden müssen. Auf halber Strecke nehmen wir ein Ehepaar, wenig später einen Mann mittleren Alters mit. Ich biete ihm ein Bier an. "Salud", ich habe gerade Karinas Vater kennengelernt.

Es ist Dunkel (Symbolbild)
Angekommen im Ort nimmt mir Karinas Vater den Koffer ab. Wir folgen einem Trampelpfad zwischen verschiedenen Grundstücken, huschen unter Zäunen unterdurch und sind dann letztendlich angekommen. Die Mutter (genannt "China"), sowie die kleine Schwester Yitsel und der kleine Kenneth erwarten uns bereits. Doch in dem Haus brennt kein Licht und der Strom ist auch nicht ausgefallen. Es gibt ihn in diesem Haus namlich schlichtweg nicht.

Aber das ist halb so schlimm. Taschenlampen - ich habe zum Glück eine an meinem rudimentären Panama-Handy - helfen.

Karina stellt mir Kenneth vor, ihren einjährigen Sohn, der bei den Eltern im Dorf lebt und den sie nur am Wochenende sieht. Kenneths Vater weiß von dem Kind, lebt aber woanders mit einer anderen Frau. Die frühe Schwangerschaft ist kein seltenes Schicksal für Mädels meines Alters in Panama.

Bild vom Folgetag: Kenneth (1) blickt in die Kamera
Das batteriebetriebene Radio, sowie Titos Handy liefern Musik, so dass mir Karina ein paar Bachata-, Merengue-, sowie Típico-Tanzschritte beibringen kann. Der Abend endet früh.

Langer Marsch zum Oma-Besuch

Der kleine Hund (Perrito)
 schläft noch
Am nächsten Tag sehe ich das kleine Haus zum ersten Mal im Lichte des Tages. Drei Schlafräume und ein Wohnzimmer/Küche mit Gasherd, wie überall üblich in Panama. Die Toilette (Plumpsklo) befindet sich draußen, wo einige Hühner und 3 Hunde herumlaufen.

Mit dem Sonnenaufgang um 6 Uhr gibt es Frühstück. Danach eine Dusche aus dem Eimer. Ziemlich exakt ein 15L-Eimer reicht mir persönlich. Fließend Wasser ist genügend vorhanden.

Dann machen wir uns auf den Weg - nach Santa Catalina, wie man mir sagt. Zum Einen gehe ich davon aus, dass der Touri-Ort Santa-Catalina mit Teer-Straßen versehen ist, zum Anderen setze ich voraus, dass wir mit dem Bus, der immerhin 20Min benötigt, dorthin fahren. Ich wähle meine Stadt-Schuhe, die sind immerhin schön bequem.

In der Dorfmitte angekommen, merke ich dann aber, dass wir uns nicht auf den Weg zur Bushaltestelle an der Hauptstraße machen, sondern in eine andere Richtung. "Hast du ein Problem damit, wenn wir zu Fuß laufen?". "Natürlich nicht". Wird schon gehen mit den guten Schuhen, denke ich mir, dann verlassen wir das Dorf über eine große Weide in Richtung Süden, dem Meer entgegen.
Unendliche Weiten voller Grün - Panama
Am Ende des Feldes: Noch ein Feld, und noch eines, und noch eines. Wie viele Felder wir durchqueren zähle ich nicht. "Feld" bedeutet außerderdem nicht "plattes Land" wie bei uns in Norddeutschland, sondern ist mehr eine Mischung aus Sumpf, Berghängen, vielen kleinen und einige großen Flüssen. Hin und wieder begegnet man einer Kuh oder etwas Mais. Der Rest ist Wiese.

Schwer vorzustellen, dass dieser Weg auch zu Pferde
 passiert werden kann und wird
Neben der Überquerung von drei größeren Flüssen, bei der ich immer umständlich meine Schuhe aus- und wieder anziehen muss, sind steile schmale Wege eine Herausforderung. Die Wege erinnern, wie der auf dem Foto, an Bachläufe, die beim Tropenregen das Wasser aufnehmen. Es muss kein Vergnügen sein, während des Regens hier längs zu wandern. Uns kommt ein Reiter entgegen.

Nach geschätzten 5 Feldern Richtung Süden bietet sich - von einer erhöhten Position aus - ein Überblick über das Land von Javier, Karinas Vater:

Alles, was man hier sieht, gehört Javier
Wie man sieht, ist das Land nicht wirklich leicht zu bestellen. In Hanglage ist etwas Mais angepflanzt, der Rest ist reichlich Wildwuchs und Wiese.

Nach etwa anderthalb Stunden kommen wir dann an unserem Ziel an, dem Haus der Oma väterlicherseits, sprich der Mutter von Javier. Wie bisher überall in Panama werde ich auch hier sehr freundlich empfangen, es gibt Fisch:

Auf einem klassischen "Fogon" wird Fisch zubereitet

Die "Abuela" (was Oma auf Spanisch bedeutet) hat ein künstlerisches Hobby. Sie bastelt aus Muscheln und sonstigem Strandgut und etwas Bastelkleber kleine Figürchen, meist Tiere. Hunderte dieser kleinen Kunstwerke zieren das ganze Haus. Als ich Interesse daran zeige, schenkt sie mir einige Figürchen in Form von "Tortugas" (Schildkröten). Außerdem kaufe ich ihr noch einige andere Figürchen und eine Halskette ab, auch wenn sie sich erst schwer tut, das Geld anzunehmen.

Kunsthandwerk aus Panama
Da der Fisch auf der Feuerstelle noch etwas Zeit benötigt, machen "die Kinder" sich auf zum Strand. Zusammen mit Karina, Kenneth und Karinas kleiner Schwester Yitsel kommen wir am unter Surfern beliebten Strand von Santa Catalina an:

Irgendwo dahinten beginnt der Pazifik
(Insel rechts: Isla Santa Catalina, Insel am Horizont: Cébaco)
Doch das Wasser ist weit weg, denn auch hier gibt es Gezeiten. Da man sich etwa 3 Minuten lang vorsichtig Barfuß durch steinigen Sand bewegen müsste, um das Wasser zu erreichen, verzichten die Mädels und Kenneth auf ein Bad. Ich kann es mir jedoch nicht nehmen, habe ich doch extra meine Badehose eingepackt. Außerdem fragt einen jeder, dem man sagt, man sei in Santa Catalina gewesen, ob man denn auch in den Wellen gebadet hätte. Das habe ich nun und die Brandung kann sich sehen lassen.

Der kleine Kenneth und Karina - mein Sombrero steht ihm gut

Die oben sichtbare Insel wirkt sehr nahe, ist jedoch ca. 1km vom Festland entfernt, weshalb man nicht ungeübt rüber schwimmen sollte. Im Hintergund des Bildes oben ist außerdem der Ort zu sehen, an dem ich das zuvorige Wochenende verbracht habe: Die Insel Cébaco.

Ein weiteres interessantes Detail des Strandes ist der Sand. Dieser schimmert an Teilen blau und glitzert ein wenig. Wenn schon nicht das Gitzern, dann wenigstens die blaue Färbung, konnte ich im Foto einfangen:

Der blaue Strand von Santa Catalina
Nachdem wir das Mittagessen mit einem sehr schmackhaften Fisch abgeschlossen haben, und ich eine weitere Tanzstunde in Sachen Bachata und Típico (beide Tänze sind nicht wirklich schwer, lediglich der
"Iguanas" (dt. Leguane) gelten in Panama als Delikatesse,
das Fleisch soll wie Hühnchen schmecken
Hüftschwung, auch beim Mann, will trainiert sein) erfolgreich abgeschlossen habe, ruht man sich in der Hängematte aus, um für den Rückweg fit zu sein. Als es dann losgehen soll, fängt es an zu regnen. Aber nicht nur ein bisschen, sondern so, wie hier ein richtiger Regen aussieht. Die Panamaños nennen das "Agua Zero", jemand stößt hoch oben eine Tür auf, alles kommt runter. An eine Rückkehr auf den teils sehr steilen Wegen ist erstmal  nicht zu denken, wir warten ab. Selbst die Hühner, die die Oma hier hält, suchen den Unterstand. Lediglich einer Gans macht es nichts aus, sie schwimmt durch den spontan im Garten entstandenen Teich. Doch nicht nur uns bekanntes Nutzvieh wird hier gehalten, auch ein Leguan befindet sich auf dem Speiseplan, bzw. noch in seinem Käfig (Foto).

Als wir uns dann, nach etwa einer dreiviertel Stunde Regen, auf den Weg machen, kommen wir zunächst nicht besonders weit. Der vom Haus der Großmutter keine 200m entfernte Fluss, der schon auf dem Hinweg die anspruchsvollste Herausforderung war, ist nun auf eine schier unüberwindbare Breite angeschwollen:

Der durch das Wasser des Regens gewachsene Fluss
Aber es hilft nichts, das ist der einzige Weg zurück in das Dorf. Javier testet die Tiefe des Flusses: für ihn etwas mehr als knietief. Das solte klappen. Also die zwei kleineren Kinder aufgeschultert und nacheinander rüber gebracht. Ebenso wie einer der zwei Hunde, die uns auf diesem Ausflug begleiteten, kommen wir, trotz starker Strömung, relativ problemlos auf die andere Seite. Lediglich nass ist jetzt alles. Meine Schuhe hatte ich auch diesmal lieber ausgezogen, da sie zu diesem Zeitpunt noch recht sauber und trocken waren.

Der zweite Hund (der vordere im Bild oben), tut sich schwer damit, einfach so in die Strömung zu springen, läuft daher zunächst auf der falschen Uferseite weiter. Recht unvermittelt springt er dann endlich - oberhalb einer Stromschnelle. Zunächst recht hilflos in der Strömung gefangen, paddelt er sich letztlich frei und folgt uns auf dem Weg nach Hause.

Wie ich schon auf dem Hinweg vermutet hatte, ist die Nuztzung der Wege bei Nässe kein wirkliches Vergnügen. Immer wieder rutsche ich mit meinen bereits erwähnten Schuhen, die nun wirklich keine Wanderschuhe sind, aus. Kann mich aber meist fangen. Ein- oder zweimal lege ich mich natürlich auch hin.

Auf etwa halber Strecke kommt dann ein Cousin Karinas zufällig auf dem Pferd vorbei und nimmt uns das Gepäck ab - so läuft es sich leichter. Ich versuche akkribisch, den Pfützen auszuweichen, gebe es allerdings auf, als ich bemerke, dass meine Schuhe ohnehin bereits mit einer grauen Schlammschicht überzogen sind.




Weil es auf dem Rückweg wieder etwas geregnet hat, ist nun alles nass - kalt wird einem hier jedoch trotzdem nicht - es ist weiterhin angenehm warm.

Der Abend endet in gemütlicher Athmosphäre. Ohne Fernseher unterhält man sich über Essen in Panama, den morgigen Tag und das, was das Dorf so verbreitet. In einem kleinen "Pueblo" wie Agua Blanca" bleibt nichts geheim, wie auch in so manchem Dörfchen in Deutschand. Karina hatte mich bereits vorgewahnt, dass das Dorf aus einem "Amigo" (guten Freund) auch schnell mal einen "Novio" (Freund im Sinne von Partner) macht. Das Dorf muss es ja wissen ;-)


Muttertag, Geburtstag und Piñata

Geschenke einpacken für den Muttertag
Der Sonntag war, wie oben bereits erwähnt, ein besonderer Tag für die Panameños, genauer gesagt, die Panameñas, die bereits ein Kind zur Welt gebracht haben.  Der 8.Dezember ist nämlich "Día de la Madre" - Muttertag. Anders als bei uns ist das hier kein Tag wie jeder andere, an dem lediglich die eigene Mutter mit einem Geschenk bedacht wird, sondern alle Mütter sind an diesem Tag die Königinnen.

Am Freitag bereits machten die Mütter auf der Arbeit früher Schluss. Außerdem nahm ich an einer Feier der Universität meines Gastvaters teil, die allein den Müttern des Professoren-Kollegiums gewidmet war. Freie Getränke, LIVE-Musik, eine Miss-Madre-Wahl und eine große Tombola bestimmten den Abend. Zum Ausgleich gibt es, am 3.Sonntag des Juni, den "Día del Padre".
Die heilige Maria als
 Sinnbild für die Mutter

Der Tag beginnt sehr früh, um sechs versammelt sich bereits das Dorf in der örtlichen Schule, denn der Muttertag wird, neben dem weltlich-traditionellen Fest - auch religiös zelebriert. Aus diesem Grund steht an diesem Morgen eine Maria-Figur im Klassenraum.

Nach einigen Fürbitten, Gebeten und einem wachmachenden Kaffee macht sich die Gemeinschaft auf nach draußen, um mit der Maria-Figur eine Prozession, also einen rituellen Umzug abzuhalten. Da noch ein Träger für die heilige Figur gesucht wird, übernehme ich eine tragende Rolle in diesem Vorgang. Ist vielleicht das erste Mal, dass in dem kleinen Dorf ein Nicht-Katholike dem Ritus auf diese Weise beiwohnt ;-)

Geradezu gebetsmühlenartig wiederholt die Gruppe immer gleiche Aussprüche, unterbrochen durch kurze Ansagen. Wir laufen den Weg zur Hauptstraße entlang, drehen jedoch rasch wieder um, was mich beruhigt. Ich hatte schon befürchtet, dass die kompletten 2,5 km bis zur Hauptstraße mit der recht schweren Santa abgegangen werden müssten.

"Día de la Madre" - das heißt außerdem Familienfeier - volles Haus. Des Weiteren soll der erste Geburtstag des kleinen Kenneth nachgefeiert werden. Dafür hatten wir am Freitag eine Piñata aus Santiago mitgebracht, die natürlich gefüllt werden will.

Gegen Nachmittag ist es dann soweit, die ersten Gäste kommen. Es scheint mir, als sei fast die komplette Familie angereist und ich liege garnicht mal so falsch damit. Denn fast alle leben hier im selben Dorf oder in der Umgebung. Unzählige Onkel, Tanten, Cousins sind mit von der Partie.

Die Familie trifft sich zum Día de la Madre und Kenneths Geburtstag
Nachdem das Gebutstagsständchen für Kenneth gesungen und die am Vortag von den Nachbarn gekauften Hühner in Form von Huhn mit Reis verspeist waren, waren die Tage der bereits erwähnten Piñata gezählt. Von einem Baum gehängt, versucht zunächst das Geburtstagskind sein Glück:

Die Piñata lässt sich nicht beeindrucken
Dann der Cousin des Geburtstagskindes:

Und weg ist das begehrte Objekt
Scheitert jedoch ebenfalls, da Tito, der Bruder von Karina, die Fäden fest in der Hand hat:

Macht es den Kindern schwer, an die
 Süßigkeiten zu kommen: Tito
Dann schließlich darf eine Erwachsene der Jugend zeigen, wie man einer Piñata richtig begegnet:




Eine wirtzige Geburtstag-Tradition, die man auch gerne mal nach Deutschland importieren kann.

Ähnlich ausgelassen geht der restliche Abend weiter. Da ich der einzige mit einer richtigen Kamera bin, werde ich spontan zum Party-Fotografen ernannt und schieße unzählige Gruppenbilder der ganzen Familie.

Eine heitere Familie
Karina und Ich lassen uns natürlich auch gemeinsam ablichten und hier ist das Foto, auf das der Leser vielleicht bereits seit dem Anfang dieses Blog-Eintrages wartet:

Karina und Ich ;-)

Ich kann mir zwar unmöglich alle Namen der ganzen Familie merken, komme aber dennoch gut ins Gespräch. Ich werde schon wie ein Teil der Familie behandelt, ein Onkel nennt mich bereits scherzhaft "Cuñado", was soviel wie Schwager bedeutet. Wie ich erst viel später verstehe, bezieht sich diese Anspielung auf sein Interesse an meiner Schwester, die er auf dem Familienbild, dass ich auf meinem Handy allen zeigte, entdeckt hatte. Generell werde ich oft von älteren Panameños gefragt, ob ich eine Schwester habe. Meist werde ich dann gebeten, diese doch mal nach Panama zu holen. Auch wenn ich glaube, dass meine Schwester das Land sehr gerne erkunden würde, glaube ich nicht, dass sie, wie viele Panameñas in meinem Alter, Interesse an einem "Caballero" hat, der vom Alter her ihr eigener Vater sein könnte. Die alten Herren hier haben auf jeden Fall eine Schwäche für jüngere Frauen.

Da das Radio am Morgen ausgefallen und Musik aus dem Handy nicht das Wahre ist, sucht Javier kurzerhand seine Mundharmonika sowie einige Eimer zusammen, die zu Trommeln umfunktioniert werden. Eine Küchenreibe fungiert als rhythmisches Pendant. Karina stimmt ein Volkslied ("Tamborito", ich kenne sogar einige Lieder von meinen Ausflügen mit der anam) nach dem anderen an, die leicht angetrunkene Gesellschaft stimmt mit ein.

Küchenreibe, Wassertank und Mundharmonika in Concert
Für den entsprechenden Pegel sorgt vor Allem der klassische "Secco Herrerano", ein aus Zuckerrohr (Caña) hergestellter weißer Rum mit 35 % Vol. Ich beschränke mich aber an diesem Abend lieber auf die selbst hergestellte traditionelle "Chicha de Maíz", ein mit Zucker oder Milch (in diesem Fall Zucker) fermentiertes Getränk auf Basis von Mais. Die Version auf Zuckerbasis ist nicht ganz so stark und trotzdem sehr schmackhaft: Je nach Zuckermenge (Mehr Zucker-> mehr Alkohol) entweder erfrischend sauer/herb oder einfach nür süß.

Der Onkel Karinas, der mich mit seiner Art der Anrede an mich ja bereits in die Familie aufgenommen hat, erzählt mir stolz von seinem neuen Stier ("Torro") namens "Niño" (Junge), den ich mir unbedingt am nächsten Tag vor meiner Abreise ansehen müsste. Er besteht sogar darauf, sagt, er würde sonst wütend.

Tag der Abreise

Da wir den besagten Onkel nicht enttäuschen wollen, machen wir uns also am nächsten morgen auf zum Hof des "Cuñado". Genauer gesagt, holt uns "Angele" ab, und zwar mit seinem Pferd. Mit dem war er auch gestern zur Feier und nach der Feier nach Hause geritten. Promillegrenzen gibt es für Reiter glaube ich hier nicht, aber diejenigen für Autofahrer interessieren hier ohnehin bei weitem nicht alle.

Schon auf dem Hinweg zu seiner Farm, die am äußeren Rand des Dorfes liegt, durfte ich aufsatteln.

ein waschechter "Caballero" auf dem "Caballo"
Am Vortag hatte uns "Murciélago" bereits die Taschen abgenommen, auch jetzt zeigt sich das Tier recht geduldig mit dem absolut unerfahrenen Reiter. Meine Tierhaar-Allergie, die mich bisher vor jeglicher Reiterfahrung bewahrte, macht sich kaum bemerkbar.

Dann kommen wir an und der "Tío" (Onkel) präsentiert stolz seinen Pracht-Stier:

Angele und sein "Niño" (3)
Das Tier ist äußerst ruhig. So ruhig sogar, dass man sich - mit etwas Geschick - draufsetzen kann:

Lässt sich fast alles gefallen: Niño

Nachdem ich auch einmal auf dem "Torro" Platz genommen hatte, gehen bzw. reiten wir weiter zum Haus des Onkels. Da komme ich dann nicht drum herum, einen kleinen Schluck seiner selbstgemachten "Chicha de Maíz" zu probieren und bereue es nicht: Sie ist sehr süß - sicherlich auch entsprechend hochprozentig.

Dann lerne ich im Nachbarhaus noch eben die andere Großmutter Karinas kennen, die in einer sehr einfachen Hütte aus Holz lebt.

Auf dem Land Panamas lebt man häufig noch
sehr traditionell bzw. in armen Verhältnissen
Auch dort gibt es wieder "Chicha de Maíz" - die scheinen hier viele auf Vorrat da zu haben.

Auf dem Rückweg macht sich langsam meine Tierhaar-Allergie zu bemerkbar. Schade, das Reiten hat mir echt Freude bereitet. Nachdem ich das Brennen in den Augen mit viel Wasser losgeworden bin, verzichte ich darauf, auch noch zu der Bushaltestelle zu reiten, von der wir den Bus nach Soná nehmen, um dann nach Santiago zurückzukehren. Dafür hilft uns Tito und bringt das Gepäck zu Pferd zur Hauptstraße.


Somit endet mein ereignisreiches Wochenende in "Agua Blanca" - einer ganz anderen Welt als der Stadt Santiago. Alles scheint dort für immer in einer bestimmten Zeit gefangen. Die junge Generation kann diesen Status aufgrund meist guter schulischer/universitärer Ausbildung verlassen, was aber wohl auch ein Verlassen des Dorfes und die Aufgabe von Traditionen bedeuten würde.

Ich habe den Eindruck, dass sich die Jugend hier viel mehr mit ihrem Wohnort bzw. ihrem Elternhaus verbunden fühlt als in Deutschland, was wohl nicht zuletzt mit der sehr fürsorglichen Erziehung zusammenhängt. Eine Erziehung nach dem Prinzip "Lass das Kind selbst merken, dass die Herdplatte heiß ist" ist für viele genauso unvorstellbar, wie die Annahme, das eigene 19-jährige "Kind" würde alleine ein halbes Jahr über 9000km entfernt leben.

Ich bin froh, dass meine Eltern mir weitaus mehr Freiheiten lassen, sodass ich diese Erfahrung machen darf.

Auch hier beginnt bald die Weihnachtszeit - die Plastiktanne steht schon. Eine Einführung in die Wissenschaft des Aufbaus einer Plastiktanne und das panamenische Weihnachtsfest gibt es dann demnächst hier.

Reporter Daniel Beneke schreibt über mich im Tageblatt
(Bild von der Strandaufräumaktion)
[Artikel editiert: Name geschwärzt, da alle in diesem Blog
auftretenden Personen, außer Reportern, nachnamenlos sind]

Abschließend danke ich an dieser Stelle den Tageblatt-Lesern, die über den am Sonnabend (14.12.) über mich erschienenden Artikel im TAGEBLATT zu meiem Blog gefunden - und tatsächlich alles durchgelesen haben. Ich freue mich stets über den ein oder anderen Kommentar (Klick!)


Arne

7 Kommentare:

  1. Lieber Arne,
    jetzt dringst Du immer weiter in die ländlichen Welten Panamas ein - beeindruckend, wie Du das alles meisterst! Die Busverbindungen und Fußmärsche, dazu noch bei dem vielen Regen, das Überqueren der Flüsse, alles ein großes Abenteuer. Jetzt auch noch mit Pferd und Bulle - mit der ganzen Familie, ist ja irre. Karina sieht ja wirklich sehr gut aus, jetzt fehlt es Dir an nichts mehr!
    Mama und Papa wünschen Dir weiter viel Spass!

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  2. Dieses Wochenende war einfach mal eine ganz neue Erfahrung. Wahrscheinlich werde ich im Januar noch einmal in das Dorf zurückkehren, dann beginnt nämlich die Saison der lokalen Baseball-Liga in Agua Blanca und Umgebung, was ich mir nicht entgehen lassen möchte.

    Ziemlich genau heute vor 3 Monaten bin ich hier gelandet und ich kann noch garnicht fassen, dass schon die Halbzeit ereicht sein soll. Ich freue mich schon auf euer Paket zu Weihnachten :-)

    Euer Arne

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  3. Toll Arne, muss sich doch gut anfühlen, wenn man sich nicht nur als Gringo oder Touri in so einem wirklich fremden Land aufhält sondern auch als Teil der Gesellschaft dort akzeptiert ist. Zumindest hat man diesen Eindruck, wenn man deine sehr lebendigen Schilderungen liest - liest sich wirklich alles sehr spannend und interessant. Bist du nun Karinas Amigo oder doch vielleich ein bisschen Novio? ;-)

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  4. :) Du hast recht, es fühlt sich toll an, als Teil der Gemeinschaft anerkannt zu werden. Gleichzeitig ist natürlich meine Zeit hier begrenzt. Dennoch hast du auch mit Novio recht ;)

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  5. Hey Arne,
    wir wohnen zwar im Moment im gleichen Ort, ich finde es trotzdem interessant deinen Blog zu lesen und zu erfahren, wie du das Land so wahrnimmst.
    Iguana scheckt übrigens wirklich ähnlich wie Hünchen, aber es hat einen seltsamen Beigeschmack - meins ist es nicht ;-)

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    1. Ich glaube, jeder nimmt dieses Land anders war. Wenn man sich jedoch darauf einlässt, gibt es einem viel. Ich bewundere deine Entscheidung, deinen Lebensmittelpunkt nun hier zu haben. Ich bin für derartige Entscheidungen noch nicht reif.

      Ich habe dieses Land lieben gelernt, will meine verbleibenden 3 Monate intensiv erleben und Panamá wird wohl immer ein Teil von mir sein.

      Iguana möchte ich trotzdem mal probieren - wann bekommt man schon die Chance dazu?

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    2. Ich habe Rodier gerade von deinem Trip erzählt, seine Familie wohnt ja einigermassen in der Nähe und er hat festgestellt, dasser Karina vom Sehen kennt ;-)

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